Der Mooswurzler

Um nicht alles zu verraten, wird "Der verwunschene Acker" zuerst erzählt.
Felix, der vormals das ängstliche Murmelein Eckig gewesen war, hat seine erste Mutprobe zu bestehen. Auch sein Vertrauen auf den Schutzmantel vom König aller Sonnen muss er jetzt beweisen: Ein Schutzmantel gegen die bösen, ja vernichtenden Schmähworte des gefürchteten, unsichtbaren "Großen Groll". Felix stolpert über das verwilderte Nachbarland, weil er es kaufen will. Währenddessen hageln die bösen Worte auf ihn nieder. Endlich erreicht er trotzdem die Schlossfassade und dahinter einen Turm ohne Türe. Darin sitzt der -"Große Groll":
Ein alter, angewurzelter Mann, von Moos überzogen, der sich als Kind eingemauert hatte. Denn er konnte die vielen Verletzungen durch seine Mitmenschen nicht mehr ertragen. Sein Leben ist in Isolation verkümmert. Jeder hatte Angst vor ihm. Nur Felix bringt die Liebe auf, in der keine Furcht ist, und so befreit er ihn. Dafür bekommt er das Land geschenkt. Die Geschichte vom "Mooswurzler" beginnt mit seiner glücklichen Kindheit im Gasthof "Zum Früchtewirt". Da ist ein Stückchen Heile Welt. Aber nach dem Tod der Eltern setzt der Lügenfürst alles daran, um das Land, den Gasthof und den Knaben in seine Gewalt zu bekommen und zu vernichten. Wie oben erzählt wurde, ist es ihm auch fast gelungen. Aber durch Felix kommt die Wende.
ca. 45 Minuten Bestellnummer 8723
Mooswurzler

Eine Aufschlüsselung

Die Geschichten sind - wie alle Editha-Geschichten vielseitig und vielschichtig in ihrer Aussage:
Es geht im "Mooswurzler" um die Erfahrung des Felix, als er zum erstenmal den Schutz des Mantels in Anspruch nimmt, den ihm der König aller Sonnen im See der Heilung umgelegt hatte:
Einen Schutzmantel gegen Verletzungen hatte er bekommen. Wer von uns kennt es nicht, wie sehr Worte verletzen können? Verletzende Worte eines anderen rütteln immer an meinem Selbstwertgefühl. Die ungeheuer vorwurfsvollen Worte des "Großen Groll" erschüttern Felix, ja sie drohen sogar, ihn zu ersticken. Aber diesmal erfährt Felix die Bewahrung durch den Schutzmantel:
Er muss nicht kapitulieren, wie er es in seiner Kindheit und auch noch als verheirateter Mann getan hatte.
 
Frage an uns bzw. an mich:
Wie schwer wiegt das kränkende Wort eines anderen Menschen für mich und wie schwer wiegt Gottes Wort der Liebe für mich? Lass ich mich unterkriegen von Menschenmeinung und Menschenworten oder lasse ich mich aufbauen von dem, was Gott zu mir sagt?
 
Weiter geht es um die Erfahrung des Felix, dass hinter einer großen, imponierenden Fassade, dicken Turmmauern und einer donnerstarken Stimme sich ein armer, resignierender, verkümmerter Mensch verbirgt. Hinzu kommt die Erfahrung, dass der Gang über dessen Land wie der Gang über ein Minenfeld ist:
Bei keinem Wort weiß Felix im voraus, ob er nicht wieder "auf eine Mine" treten wird, bzw. auf eine Wunde. Es gibt Menschen, deren Herz voller offener Wunden ist, oder deren "Füße voller Hühneraugen" sind. Wehe, wir treten darauf. Wer brüllt und schreit, ist ein schwer verwundeter Mensch.
 
Wie kam der "Große Groll" zu seiner Rolle und dazu, sich einzumauern. Schutzlos steht er als Waisenkind da und erlebt die erste Frustration durch die Kälte und den Spott der Schwarzen Prinzessin. Es könnte eine Reihe von weiteren Kränkungen erfolgt sein; nur noch zwei weitere werden erwähnt.
Jedenfalls reicht die gesamte Kränkung für ihn aus, um sich vollkommen "in sein Schneckenhaus" bzw. in seinen Turm zurückzuziehen. Auch bei diesem Menschen ist das Selbstwertgefühl so schwach, dass er sich keinen weiteren Verletzungen mehr aussetzen kann. Er wird ein einsamer, absolut verschlossener Mensch; zu seinem Turm gibt es keine Türe.
 
Nur das Malvenblatt ist fähig, eine öffnung zu schaffen, einen Zugang:
Felix und das Malvenblatt schaffen es. Das Malvenblatt bedeutet Vergebung und Heilung. Was aber ist in seinem Fall zu vergeben, zu verzeihen? Kein Mord und Totschlag auf handgreifliche Weise, nicht Lüge oder Betrug; kein Diebstahl oder Raub. Aber Mord mit Worten und Lüge in Form von Vortäuschung falscher Tatsachen: Vortäuschung eines starken Lebens statt der tatsächlichen Kapitulation. So ist der Mooswurzler.
Was aber ist die Hauptschuld, die Hauptlast, die der Mooswurzler auf sich geladen hat? Das nicht gelebte Leben, aus dem alle Bitterkeit und Aggression entspringt. Diese Stelle erinnert an die Geschichte von den anvertrauten Pfunden. Sein Leben nicht zu leben, seine Gaben nicht einzusetzen, betrübt Gott über alles. Und genau das ist passiert:
Der Mooswurzler hat sein Leben nicht gelebt, sondern hat es aus Angst vor weiteren Kränkungen in einem Turm zugebracht. Das ist sehr schlimm. Und als er das erkennt, weint er bittere Tränen. Aber bei dieser Trauer soll es nicht bleiben. Noch in seinem hohen Alter sollen die Mauern fallen und der Alte soll heil werden und leben. Leben spielt sich immer ab in der Kommunikation. Und die gelingt ihm jetzt, wie auf zwei Bildern zu erkennen ist.
 
Der Mooswurzler wird heil; es ist, als ob er doch darauf gewartet hätte. Und was hat zu diesem Freiwerden beigetragen? Die Liebe des Felix:
Eine Liebe, in der keine Furcht ist, wie die Bibel sagt.
Ein "Großer Groll" leidet darunter, dass alle Menschen vor ihm Angst haben. Die Angst der anderen bestätigt ihm, dass er ein böser Mensch sein muss. Felix, der keine Angst vor dem "Großer Groll" hat, sondern Liebe, in der keine Furcht ist, hilft ihm, seine Rolle als Mächtiger und als Angstmacher aufzugeben und keine Rolle mehr zu spielen.
So kann Heilung beginnen:
Felix gegenüber kann der "Großer Groll" ehrlich sein und sogar seine eigene Angst zugestehen. Felix hilft ihm, die Wahrheit zu erkennen, von der die Bibel sagt, dass sie uns freimacht. Symbolisch wird diese Freiheit zum Ausdruck gebracht, indem die Turmmauern und die Fassade einstürzen. Bewusst ist in dieser Geschichte nicht weiter ausgeführt, wie Heilung aussehen könnte, da dieses Thema ausführlich in "Murmelein Eckig", der vorhergehenden Geschichte behandelt wurde. Aber ein Gespräch in Form einer Lebensbeichte zwischen dem Mooswurzler und Felix ist durchaus denkbar:
Vor einem Menschen einmal aussprechen, was mir in meinem Leben Not macht und was mich am vollen Leben hindert, ist Befreiung; das ist die Wahrheit, die freimacht. Und nur daraufhin kann mir von einem Felix, einem, der auch geheilt wurde, Vergebung Befreiung und Heilung zugesprochen werden.
 
Frage:
Gibt es auch für mich Lebensbereiche, die ich einmauere und die für keinen Menschen zugänglich sein dürfen? Wo baue ich eine Fassade auf, ein Bild, das nicht der Wahrheit entspricht? Wurde mir Hilfe und Befreiung angeboten, und ich lehnte sie ab? So wie der Mooswurzler den Vogel Viktor immer wieder fortschickte? Wie gehe ich als Felix um mit solchen Mooswurzlern? Sehe ich ihre große Not hinter ihrer Bosheit und Arroganz?
 
Noch nicht behandelt sind die Figuren "Finsterfürst" und "Schwarze Prinzessin". Sie treten in verschiedenen Editha-Geschichten auf. Sie stellen ganz einfach den Teufel und eine Gehilfin dar, und es soll nicht übersehen werden, dass diese Figuren aus der Finsternis auch ihre Pläne mit den Menschen haben. Auch mit dem ehemaligen kleinen "Früchtewirt" hatten sie ihre Pläne, Pläne der Zerstörung, die ihnen lange Zeit gelungen waren. Aber als sie den Alten ganz vereinnahmen wollen, ruft dieser:
"Ich gehöre euch nicht!" Und Felix ruft:
"Er gehört dem König aller Sonnen."
Da haben die beiden Finsteren verloren.
Geschrieben am 1. Februar 1989 für den Seniorennachmittag am 07.02.1989.
 
Illustration Editha Humburg